Im vergangenen Jahr haben 7.833 Menschen die Angebote der diakonischen Wohnungslosenhilfe in Schleswig-Holstein in Anspruch genommen. Das sind gut 800 mehr als 2020 und fast genauso viele wie 2019. Brennpunkte der Wohnungslosigkeit bleiben die kreisfreien Städte Kiel, Lübeck, Flensburg und Neumünster. Betroffen sind aber auch die ländlicheren Gebiete, vor allem an der Westküste und im Hamburger Umland. Besorgniserregend ist aus Sicht der Diakonie die Entwicklung in Kiel. Die Einrichtungen der diakonischen Wohnungslosenhilfe in der Landeshauptstadt registrierten mit 1.995 Ratsuchenden fast 500 mehr als im Vorjahr. Insgesamt geht die Diakonie davon aus, dass die Dunkelziffer noch wesentlich höher liegt.
Wohnungslosenstatistik Diakonie Schleswig-Holstein 2021
Diakonische Einrichtungen im ganzen Land berichten, dass die Zahl der Ratsuchenden, denen eine Zwangsräumung ihrer Wohnung oder eine Zwangsversteigerung von Wohneigentum bevorsteht, nach dem vorrübergehenden Stopp im Jahr 2020 in den vergangenen Monaten zugenommen hat. Grund seien oft ein Jobverlust oder mehrmonatige Kurzarbeit während der Pandemie.
Darüber hinaus weisen immer mehr Rat- und Hilfesuchende ernsthafte psychische Erkrankungen auf, die für die Beratenden eine zusätzliche Herausforderung darstellen. Das gilt vor allem für Menschen, die komplett auf der Straße leben. Deren Situation hat sich nach Auskunft der Beratungsstellen und Tagestreffes während der Pandemie weiter verschärft. Es sei immer schwerer, sie zu erreichen. Dennoch unternehmen die Einrichtungen und ihre Mitarbeitenden alles, um den Kontakt zu diesen Menschen zu halten und Hilfen anzubieten.
„Die Lage der von Wohnungslosigkeit bedrohten und betroffenen Menschen in Schleswig-Holstein ist besorgniserregend“, sagt Diakonie-Vorstand und Landespastor Heiko Naß. „Seit Jahren schon beklagen wir die Situation der Betroffenen und eine Besserung ist nicht in Sicht. Die Pandemie hat sogar alles noch einmal verschärft. Hinzu kommen die aktuell steigenden Lebenshaltungskosten. Wir müssen also dringend gegensteuern. Dazu gehört, dass die Wohnungslosenhilfe besser ausgestattet und Standards bei der Unterbringung von Wohnungslosen erhöht werden. Vor allem aber müssen wir gemeinsam mit Land und Kommunen alles dafür unternehmen, dass Menschen erst gar nicht ihre Wohnung verlieren!“
Die Diakonie fordert, die Prävention in der Wohnungslosenhilfe zu stärken. In allen Kommunen sollte es Angebote geben, die Menschen bereits unterstützen, bevor sie ihre Wohnung verlieren und nicht erst danach. Hier gibt es zum Teil noch Nachholbedarf. Außerdem müssen die Standards in der Notunterbringung flächendeckend angepasst werden. Dazu zählt eine Unterbringung der Wohnungslosen in Einzelzimmern. Das Übernachten in Gruppenräumen ist für die meist psychisch und gesundheitlich angeschlagenen Personen eine unannehmbare Herausforderung. Darüber hinaus muss die sozialpädagogische Betreuung in den Notunterkünften ausgebaut werden. Nur so ist es möglich, gemeinsam mit den Betroffenen Auswege aus der Wohnungslosigkeit zu finden.
Um Wohnungslosigkeit zu vermeiden, ist es aus Sicht des Wohlfahrtsverbandes wichtig, Menschen mit wenig Einkommen zu entlasten. „Mit der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro ab Oktober und der im Koalitionsvertrag angekündigten Kindergrundsicherung hat die Bundesregierung bereits richtige Weichenstellungen vorgenommen“, sagt Landespastor und Diakonie-Vorstand Heiko Naß. „Angesichts der Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Energie und Mieten benötigen wir aber dringend auch eine deutliche Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes sowie für einkommensschwache Menschen dauerhafte Kostenentlastungen für Gas, Strom und Benzin.“
Die Diakonie Schleswig-Holstein unterstützt über ihre Stiftung und in Zusammenarbeit mit diakonischen Trägern an mehreren Standorten Projekte, die Wohnraum für Menschen mit besonderen Bedarf schaffen. In Kiel wurden zum Beispiel gemeinsam mit der Hempels-Stiftung zwölf Wohneinheiten zur Verfügung gestellt. In Nortorf baute die Diakonie Altholstein 70 Wohnungen, in Schleswig ist gemeinsam mit der Kommune der Bau von Wohnungen für benachteiligte Menschen geplant. Andere Träger mieten Wohnungen an, um diese an Betroffene unterzuvermieten. Mittel- und langfristig kann die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt aber nur durch den Bau neuer, bezahlbarer Wohnungen verbessert werden. Hier sieht die Diakonie Land und Kommunen weiter in der Pflicht.