„Der Strom von Menschen, die wegen hoher Energierechnungen unsere Beratungsstellen aufsuchen, reißt nicht ab“, sagt die Leiterin der Koordinierungsstelle Schuldnerberatung Sibylle Schwenk. „In vielen Fällen helfen die angekündigten Strom- und Gaspreisdeckel nicht weiter. Wer schon vor dem Anstieg der Inflation jeden Cent umdrehen musste, den treffen auch die gedeckelten Energiepreise. Denn diese sind wesentlich höher als die Energiepreise vor 2022. Hinzu kommen die gestiegenen Lebensmittelpreise. Umso wichtiger ist es, dass sich die betroffenen Menschen von uns beraten lassen. Die Beraterinnen und Berater können kurzfristige Hilfsmöglichkeiten aufzeigen und gemeinsam mit den Ratsuchenden mittelfristige Perspektiven aus der Überschuldung erarbeiten.“
Eine Umfrage bei den 36 Schuldnerberatungsstellen in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr ergab, dass 63 Prozent der Mitarbeitenden mehr Anfragen von Hilfesuchenden hatten als im Vorkrisenjahr 2019. Damit dürfte die Zahl der Ratsuchenden in den Schuldnerberatungsstellen 2022 wieder massiv angestiegen sein. 2021 war die Zahl laut Statistischem Bundesamt auf 26.469 Personen leicht zurückgegangen, was sich vor allem mit den Lockdowns während der Corona-Krise begründen lässt. 2019 hatten 28.249 Menschen in Schleswig-Holstein die Beratungsstellen aufgesucht.
57 Prozent der Mitarbeitenden in den Schuldnerberatungsstellen berichten über vermehrte Anfragen wegen Miet- und Stromschulden. Das sind 15 Prozent mehr als bei der Umfrage für das Jahr 2021. Aus Sicht der Koordinierungsstelle sind damit die Auswirkungen von Ukrainekrieg und hoher Inflation in den Beratungsstellen angekommen. Dabei sind unter den Ratsuchenden zunehmend Erwerbstätige, vor allem aber viele über 65-Jährigen, die mit ihrer Rente nicht mehr zurechtkommen. Das haben 46 Prozent bzw. 92 Prozent der Beraterinnen und Berater angegeben. Eine weitere große Gruppe unter den Klientinnen und Klienten sind wie auch schon während der Coronakrise die (Solo-)Selbständigen. Vor diesem Hintergrund geht es bei den Beratungen neben einer kurzfristigen Existenzsicherung zunehmend um Krisenintervention. Dazu gehören die Einrichtung eines Pfändungsschutzkontos, die Prüfung von Sozialleistungsansprüchen und eine Budgetberatung.
Neben den Auswirkungen der allgemeinen Preissteigerungen beschreibt der Schuldenreport die Lebenslage überschuldeter Menschen in Schleswig-Holstein. Er macht deutlich, dass viele Haushalte angesichts der aktuellen Krisen an ihren nicht nur finanziellen Grenzen angekommen sind. Dabei haben viele auch noch mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen.
Diese Entwicklungen unterstreichen laut Koordinierungsstelle die große Bedeutung der Schuldnerberatungsstellen. „Wir setzen uns dafür ein, dass die Finanzierung der allgemeinen Schuldnerberatung durch die Kommunen langfristig erhalten bleibt“, so die Leiterin Sibylle Schwenk. „Da wir bislang nur einen Bruchteil der potentiell Hilfebedürftigen erreichen, müsste das Angebot an sozialer Schuldnerberatung sogar noch ausgebaut werden. Nur so lässt sich vermeiden, dass immer mehr finanziell benachteiligte Menschen in der Überschuldung landen, mit massiven Folgen für die physische und psychische Gesundheit oder den Erhalt der eigenen Wohnung. Auch die Landesregierung hatte das bei ihrem Energiegipfel im September 2022 bereits gesehen und dafür Mittel zur Verfügung gestellt.“
Überschuldung ist meist mehr als ein finanzielles Problem. Sie bringt physische und psychische Belastungen mit sich, die von Stress, Versagensängsten, Depressionen bis zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schmerzzuständen reichen. Die Schuldnerberatungsstellen helfen Betroffenen, ihre Schulden zu regulieren. Darüber hinaus werden die persönlichen, familiären und sozialen Lebensumstände in den Blick genommen. In Schleswig-Holstein gibt es insgesamt 36 anerkannte und öffentlich geförderte Schuldnerberatungsstellen.
Der aktuelle Schuldenreport sowie die Ergebnisse der Befragung der Schuldnerberatungsstellen sind unter www.schuldnerberatung-sh.de zu finden.