Laut aktuellem Sozialbericht des Landes Schleswig-Holstein leben 17,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Kreis Dithmarschen von Transferleistungen, darunter zählt das Bürgergeld. Das ist unter den Kreisen in Schleswig-Holstein mit Abstand die höchste Quote. Der Durschnitt liegt bei 15,6 Prozent. Was das konkret bedeutet, dazu wurden vor dem Aktionstag betroffene Eltern befragt. Sie berichteten, dass sie keine bezahlbaren Wohnungen finden, die Stromrechnung nicht mehr bezahlen können, Kinderkleidung und -schuhe zu teuer sind und bei gesunden Lebensmitteln sparen müssen.
Beim Aktionstag ergänzte Malva Abraham, Sozialberaterin beim Diakonischen Werk Dithmarschen: „In unsere Beratungsstelle kommen viele Alleinerziehende. Oftmals haben sie keine Chance, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen, weil sie für ihre Kinder keinen wohnortnahen Krippenplatz finden, es an schulischen Ganztagsangeboten fehlt oder sie sich für die Anfahrt zum Arbeitsplatz kein Auto leisten können. Genau darauf sind Familien zum Beispiel in den Kögen aber dringend angewiesen, weil dort kaum Busse fahren. Für die Kinder hat das zur Folge, dass sie außerschulische Freizeitangebote wie Sport oder Musikschule nicht wahrnehmen können. Sie sind von der sozialen Teilhabe abgeschnitten.“
Vor diesem Hintergrund hatte der Kreis Dithmarschen bereits 2011 ein Bündel an Maßnahmen beschlossen. Dazu zählen die Stärkung der Frühen Hilfen, das Knüpfen regionaler Kooperationen zwischen Erziehungsberatung, Kinderschutzzentren und Kinderkliniken, Inklusionslotsen für Kitas sowie kommunale Netzwerke gegen Kinderarmut mit Akteuren der Wohlfahrt, Kirchen und Vereinen.
Renate Dümchen vom Kreis Dithmarschen zog jetzt folgende Bilanz: „Trotz sinkender Arbeitslosigkeit und der zurückgehenden Zahl von Leistungsberechtigten von SGB II (im Sprachgebrauch Hartz IV, heute Bürgergeld) ist die Quote der von Armut betroffenen Menschen in Dithmarschen weiter hoch. Ein Grund: Überdurchschnittlich viele Menschen arbeiten hier nach wie vor in Dienstleistungs- und in Serviceberufen, die schlecht bezahlt sind. Hinzu kommt die Situation der Alleinerziehenden. Das bedeutet: Wir müssen dringend weiter die Netzwerke zwischen Schulen, Vereinen, Kirchen und Wohlfahrt stärken, um den betroffenen Familien und Kindern konkret helfen zu können. Außerdem benötigen wir bessere Zugänge zu außerschulischen Angeboten und eine Kindergrundsicherung.“
Für den Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Dithmarschen Andreas Hamann besteht dringender Handlungsbedarf: „Dass in einer der reichsten Gesellschaften dieser Welt die Kinderarmut im eigenen Land noch ein Problem darstellt, ist ein Skandal! Es ist eine der vordringlichsten Aufgaben der Sozialpolitik, diesen Missstand aufzulösen. Der Aktionstag will einen Beitrag dazu leisten, den richtigen Weg dafür in unserem Kreis weiterzugehen.“
Kinderarmut ist nicht nur ein Problem in Dithmarschen, sondern laut Sozialbericht auch in anderen ländlichen Regionen. Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein sieht deshalb neben den Kreisen das Land in der Pflicht. „Das Angebot des ÖPNV im ländlichen Bereich muss dringend ausgebaut und ein vergünstigtes Ticket für Transferleistungsempfänger eingeführt werden“, fordert Kathrin Kläschen, Referentin für Armut beim Landesverband. „Es kann nicht sein, dass in vielen Dörfern nur ein oder zwei Mal pro Tag ein Bus fährt, den sich Betroffene dann nicht einmal leisten können. Zudem benötigen auf dem Land zusätzliche Kitaplätze mit Öffnungszeiten auch nach 14.00 Uhr und mehr Ganztagsschulangebote, damit Eltern einer auskömmlichen Beschäftigung nachgehen können. Schließlich ist es wichtig, beim Bau von bezahlbarem Wohnraum auch die ländlichen Regionen in den Blick zu nehmen. Dort ist der Bedarf in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.“
Kai Marquardsen, Professor für Armut und soziale Ungleichheit an der FH Kiel verwies bei dem Aktionstag auf die Langzeitfolgen von Kinderarmut und unterstrich damit den Handlungsbedarf: „Kinder in Deutschland haben sehr unterschiedliche Chancen, mit denen sie ins Leben starten. Von der Frage der sozialen Herkunft hängen maßgeblich die Weichenstellungen für ihre Zukunft ab. Nach wie vor ist es die Regel, dass Armut von einer Generation auf die nächste weitergegeben wird. Und unser Bildungssystem reproduziert noch immer soziale Ungleichheit statt sie zu korrigieren. Kinderarmut zu bekämpfen bedeutet, der Entstehung von Armut im Erwachsenalter präventiv entgegenzuwirken.“