In Schleswig-Holstein haben zehn Prozent der Flüchtlinge eine körperliche, seelische oder Lernbeeinträchtigung. Diese Zahl hat eine landesweite Abfrage bei Institutionen und Einrichtungen ergeben, die in der Flüchtlings- und Integrationsarbeit aktiv sind. Die gemeinsame Datenerhebung von Diakonie, dem Flüchtlingsbeauftragen und dem Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung zeigt zudem die verschiedenen Einschränkungen der Betroffenen auf sowie die jeweiligen Anliegen und Hilfebedarfe.
Grundsätzlich fallen Menschen mit Behinderung unter die Gruppe der besonders schutzbedürftigen Flüchtlinge. Nach EU-Richtlinie steht ihnen eine ausreichende medizinische Versorgung zu. „Bislang sind die Möglichkeiten für eine Betreuung von Flüchtlingen mit Behinderung bei weitem nicht ausgeschöpft. Das liegt auch daran, dass in der öffentlichen Debatte dieses Thema nicht stattfand“, sagt Landespastor und Diakonie-Vorstand Heiko Naß. „Hier ist ein Kurswechsel geboten, damit die Betroffenen in Schleswig-Holstein menschenwürdig leben können und ihre Integration nicht ausgebremst wird.“
„Oftmals werden die Behinderungen von Flüchtlingen nicht frühzeitig erkannt und ausreichend gewürdigt“, nennt der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Dr. Ulrich Hase, eine Ursache für die als unzureichend empfundene Versorgung und Teilhabe. „Das hat auch kulturelle Gründe. In vielen Herkunftsländern haben Menschen mit Behinderung weniger Rechte als in Deutschland und es gibt keine entsprechenden Hilfs- und Assistenzangebote. Die Betroffenen wissen daher oft-mals nicht, dass sie überhaupt Ansprüche auf Unterstützung haben.“
Auf einen weiteren Aspekt weist Michael Saitner hin, Vorstand beim Paritätischen Schleswig-Holstein: „In vielen Behörden und Einrichtungen fehlt es an fachlichen Informationen über die Leistungen für Flüchtlinge mit Behinderung. Die Gesetzeslage ist sehr unübersichtlich, weil neben den Sozialgesetzbüchern auch das Aufenthalts- und Teilhaberecht eine Rolle spielen. Diese Mischung aus verschiedenen Rechtsgebieten führt zu einer großen Verunsicherung.“
Der Landesbeauftragte für Flüchtlings- Asyl- und Zuwanderungsfragen, Stefan Schmidt fordert: „Es ist wichtig, dass wir die Behinderung von Flüchtlingen gleich nach ihrer Ankunft in den Blick nehmen. Wie können Behinderungen bei der Erstuntersuchung erkannt werden? Welche Rolle sollte eine Behinderung bei der Verteilung auf die Kreise spielen? Welche Rechtsansprüche auf besondere Hilfsangebote haben die Flüchtlinge? Diese Fragen müssen bei der Aufnahme von Flüchtlingen stärker als bislang beachtet werden.“
Vor diesem Hintergrund wurde vor einigen Monaten die Aufklärungsarbeit für Einrichtungen, Behörden und ehrenamtliche Helfer intensiviert. In Workshops, bei Informationsveranstaltungen und dem Fachtag heute erhielten zum Beispiel Mitarbeitende von Migrationsberatungsstellen und der Behindertenhilfe jeweils Einblick in das andere Arbeitsfeld. Es wurden das Leistungsspektrum für Flüchtlinge mit Beeinträchtigung und die rechtlichen Voraussetzungen vorgestellt aber auch der Erfahrungsaustausch gefördert.
Darüber hinaus bietet der neue Leitfaden „Unterstützung von Geflüchteten mit Behinderungen“ einen ausführlichen Einblick in das Arbeitsfeld. Er zeigt die möglichen Zugänge zu den entsprechenden Hilfesystemen auf. Dabei stehen die Leistungen der Eingliederungshilfe im Mittelpunkt. „Der neue Leitfaden ist eine gute Grundlage für die Arbeit mit Flüchtlingen mit Behinderung“, so Doris Kratz-Hinrichsen, Referentin für Flucht und Migration beim Diakonischen Werk Schleswig-Holstein. „Er lotst durch den Paragrafendschungel der verschiedenen Rechtsgebiete und stärkt hauptamtliche Mitarbeitende und ehrenamtliche Helfer bei ihrer Beratungsarbeit.“