Zwei Drittel der Mitarbeitenden in den Schuldnerberatungsstellen geben an, dass sich die Zahl der Anfragen 2021 insgesamt erhöht hat. 71 Prozent berichten über einen gestiegenen Beratungsbedarf von (Solo)-Selbständigen. Dabei handelt es sich vor allem um Menschen, die selbständig im Dienstleistungssektor, zum Beispiel als Frisöre oder in einem Nagelstudio, sowie im Tourismus und der Gastronomie tätig sind. Die zweitgrößte Gruppe mit Beratungsbedarf waren Menschen in Kurzarbeit. Das berichten 42 Prozent der Beraterinnen und Berater.
„Die Ergebnisse der Umfrage sind alarmierend“, sagt die Leiterin der Koordinierungsstelle Schuldnerberatung Sibylle Schwenk. „Im ersten Jahr der Pandemie haben die Menschen, die Einkommenseinbrüche durch fehlende Aufträge und Kurzarbeit erlitten haben, noch versucht durchzuhalten und selbständig mit ihrer prekären finanziellen Lage zurechtzukommen. Als Ende 2020/Anfang 2021 aber weitere Lockdowns verhängt wurden, war bei vielen die Grenze erreicht und das Ersparte aufgebraucht. In der Folge nahmen sie Kontakt zu unseren Beratungsstellen auf. Wir können allen, die in einer ähnlichen Situation sind, nur raten, frühzeitig professionelle Hilfe durch eine anerkannte Schuldnerberatungsstelle in Anspruch zu nehmen.“
Aus Sicht der Koordinierungsstelle Schuldnerberatung sieht die Bundespolitik die Problematik prekärer Beschäftigungsverhältnisse und hat im Koalitionsvertrag einen Mindestlohn von 12 Euro sowie eine Kindergrundsicherung verabredet. Diese Weichenstellungen müssten aber mit einem bedarfsgerechten Hartz-IV-Regelsatz flankiert werden.
Die Koordinierungsstelle Schuldnerberatung geht davon aus, dass neben der Pandemie die stark steigenden Energiekosten die Lage von Menschen mit niedrigem Einkommen bzw. prekären Beschäftigungsverhältnissen weiter verschärfen. Die Ratsuchenden der Schuldnerberatungsstellen in Schleswig-Holstein wendeten 2020 bereits im Schnitt 46 % ihres monatlichen Nettoeinkommens für Wohnkosten einschließlich Energie- und Nebenkosten auf. Allgemein gelten 30 % als zumutbar.
„Menschen mit niedrigen Einkommen können sich die hohen Gas- und Spritkosten schlichtweg nicht leisten“, so Sibylle Schwenk. „Hinzu kommt, dass es für diese Menschen kaum Einsparpotentiale beim Energieverbrauch gibt. Gerade sie leben in preiswerteren und daher oft schlecht gedämmten Wohnungen. Energiesparende Geräte und moderne Autos sind für sie nicht bezahlbar. Die im Energie-Entlastungspaket vorgesehenen Kostenentlastungen für die Bürgerinnen und Bürger helfen nur kurzfristig. Angesichts dessen wird die Zahl der Ratsuchenden in Beratungsstellen in den kommenden Monaten erneut ansteigen.“
Um Menschen, die unter den ansteigenden Kosten für Gas und Strom leiden, dauerhaft entlasten zu können, fordert die Koordinierungsstelle Schuldnerberatung Instrumente zur Verhütung hoher Energiekosten. Beispielsweise könnten Sozialleistungsbeziehende mit energieeffizienten Haushaltsgeräten ausgestattet und Vermieter zur effizienten Dämmung von Gebäuden verpflichtet werden. Vor diesem Hintergrund sei es zu begrüßen, dass das bundesweite Beratungs- und Hilfsangebot „Stromsparcheck“ auch 2022 fortgesetzt und Menschen mit niedrigen Einkommen eine umfassende kostenlose Beratung zum Energieverhalten und Einsparpotentialen ermöglicht werde.
Überschuldung ist meist mehr als ein finanzielles Problem. Sie bringt physische und psychische Belastungen mit sich, die von Stress, Versagensängsten, Depressionen bis zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schmerzzuständen reichen. Die Schuldnerberatungsstellen helfen Betroffenen, ihre Schulden zu regulieren. Darüber hinaus werden die persönlichen, familiären und sozialen Lebensumstände in den Blick genommen. In Schleswig-Holstein gibt es insgesamt 36 anerkannte und öffentlich geförderte Schuldnerberatungsstellen.